Herzschwäche: Die schleichende Gefahr
In Deutschland leiden nach Expertenschätzungen rund vier Millionen Menschen an einer sogenannten Herzinsuffizienz, der Herzschwäche. Sie zählt zu den häufigsten Gründen für einen Krankenhausaufenthalt und fordert jährlich in Deutschland über 40.000 Menschenleben. Um über die Erkrankung aufzuklären, stehen die diesjährigen bundesweiten Herzwochen der Deutschen Herzstiftung im November unter dem Motto „Das schwache Herz“. Anlass für unsere Redaktion einmal beim Experten nachzufragen.
Prof. Dr. Stephan Gielen ist Chefarzt der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Internistische Intensivmedizin am Klinikum Lippe. Er und sein Team kennen die Gefahren der Herzschwäche, die in vielen Fällen lange unbemerkt bleibt.
Herr Prof. Dr. Gielen, was genau versteht man eigentlich unter dem Begriff Herzinsuffizienz?
Der Begriff „Herzinsuffizienz“ bezeichnet keine eigenständige Krankheit, sondern kennzeichnet eine typische Beschwerdekonstellation aus Luftnot unter Belastung, Wassereinlagerung in den Beinen und beschleunigtem Puls. Das Röntgenbild der Lunge zeigt oft eine Herzvergrößerung und vermehrten Flüssigkeitsgehalt der Lunge. Typischerweise sprechen die Beschwerden auf eine Entwässerungsbehandlung mit Diuretika, das sind harntreibende Medikamente, gut an. Wichtigste Erstuntersuchung neben dem EKG ist die Herzultraschalluntersuchung, die sogenannte Echokardiographie. Bei dieser Untersuchung wird das Volumen der linken Herzkammer zu Beginn der Herzkontraktion (enddiastolisches Volumen, EDV) und am Ende gemessen. Die Differenz beider Werte ergibt das Schlagvolumen (stroke volume, SV). Das Verhältnis SV/EDV ergibt die sogenannte Auswurfleistung oder Ejektionsfraktion (abgekürzt EF). Je nach Einschränkung der Pumpleistung.
Was sind die Ursachen für die Erkrankung?
Herzinsuffizienz ist die gemeinsame klinische Endstrecke zahlreicher Herzerkrankungen.
Führende Ursachen sind
- Durchblutungsstörungen des Herzmuskels infolge einer koronaren Herzerkrankung
- Genetisch/metabolisch/toxisch verursachte Herzmuskelerkrankungen (sog. Kardiomyopathien)
- Entzündliche Herzmuskelerkrankungen, meist durch Virusinfektion (Myokarditis)
- Langjähriger Bluthochdruck
- Herzklappenerkrankungen (besonders Aortenklappenstenose und Mitralklappeninsuffizienz)
- Langsame oder schnelle Herzrhythmusstörungen
- Diabetes mellitus
Da mehr als zwei Drittel aller Patienten mit einer Herzinsuffizienz eine koronare Herzerkrankung als Ursache haben, gehört eine Herzkatheteruntersuchung mit Darstellung der Herzkranzgefäße neben der Echokardiographie und dem EKG/Langzeit-EKG zur Basisdiagnostik der Erkrankung.
Ist die Herzleistung (EF) deutlich eingeschränkt bei Abwesenheit von Bluthochdruck oder zum Beispiel einer Klappenerkrankung, spricht man von einer „dilatativen Kardiomyopathie“. Im Einzelfall kann es sehr schwer sein, hier eine genaue Ursache festzustellen. So lässt sich eine Myokarditis nur mit Gewebeprobenentnahme aus dem Herzmuskel sicher diagnostizieren. Da aber für die Herzmuskelentzündung keine spezifische Therapie verfügbar ist, stehen Risiko und Nutzen der Herzmuskelbiopsie in keinem sinnvollen Verhältnis.
In der Klinik für Kardiologie werden Patienten mit Herzerkrankungen genau untersucht.
Welche Möglichkeiten der Therapie gibt es?
Die gute Nachricht für alle Patienten mit einer Herzinsuffizienz ist: Die medikamentöse Therapie hat sich in den letzten zehn Jahren deutlich verbessert, so dass viele Patienten heute unter der Tablettenbehandlung weitgehend beschwerdefrei mit der Herzinsuffizienz leben können.
Grundsätzlich steht die Therapie der Herzinsuffizienz auf drei großen Säulen:
- Kausale Therapie
Wann immer möglich versucht man, die Ursachen der Herzschwäche zu beseitigen: Bei schwerer koronarer Herzerkrankung verbessert sich nach Bypass-OP oder Ballondilatation/Stentimplantation die EF oft nachhaltig. Bei Klappenerkrankungen führt die operative Klappenreparatur/Klappenersatztherapie zur Verbesserung der Herzleistung. - Herzentlastende
Medikamententherapie: Wichtigste Säule der medikamentösen Behandlung ist die herzentlastende herapie mit ACE-Hemmern oder AT1-Blockern in Kombination mit einem Betablocker. Durch diese Basisbehandlung werden der Blutdruck, gegen den das Herz anpumpen muss, und die Pulsrate gesenkt. Bei Überwässerung ist oft eine zusätzliche entwässernde Behandlung mit Diuretika (Furosemid, Torasemid) erforderlich. Bei fortgeschrittener Herzinsuffizienz kommt außerdem Spironolacton oder Eplerenone zum Einsatz und ACE-Hemmer/AT-1 Blocker werden durch Sacubitril-Valsartan (Entresto®) ersetzt. Eine sehr vielversprechende Medikamentengruppe sind die sogenannten SGLT-2 Inhibitoren, welche die Zucker- und Wasserausscheidung über die Nieren steigern und besonders bei Diabetikern sehr günstig wirken. - Rhythmustherapie:
Rhythmusstörungen spielen bei der Entstehung und Verschlechterung der Herzinsuffizienz eine besondere Rolle. Besonders Vorhofflimmern verschlechtert eine vorbestehende Herzschwäche durch den Wegfall der Vorhofkontraktion. Hier entscheidet man sich heute früher als bisher für eine Ablationsbehandlung, um den Sinusrhythmus möglichst lange stabil zu erhalten. Bei Reizleitungsstörungen (insbesondere Linksschenkelblock) werden Herzseitenwand und Septum nicht mehr gleichzeitig erregt. Dadurch kommt es zu einer asynchronen Kontraktionsbewegung, welche die Herzleistung zusätzlich verschlechtert. Hier kann die Implantation eines sogenannten Dreikammer-Schrittmachers (cardiac resynchronization therapy/CRT-Therapie) helfen.
Im Akutfall ist eine Überwachung der Patienten notwendig.
Häufigste Todesursache bei Patienten unter 65 Jahren sind bösartige Herzrhythmusstörungen (Kammertachykardie, Kammerflimmern). Daher entscheidet man sich bei hochgradig eingeschränkter EF unter 35 Prozent oft für eine ICD-Implantation. Ein ICD ist ein miniaturisierter Defibrillator, der eine Sonde in der rechten Herzkammer hat. Er kann Kammerrhythmusstörungen zuverlässig erkennen und durch Überstimulation oder Schockabgabe beenden.
Sollte sich trotz aller dieser Maßnahmen die Herzleistung nicht stabilisieren und keine angemessene Lebensqualität erreicht werden, bleiben als weitere Optionen die Herztransplantation und das mechanische Linksherzunterstützungssystem (left ventricular assist device/LVAD). Für eine Transplantation kommen vor allem jüngere Patienten in Frage. Da Spenderherzen jedoch sehr begrenzt verfügbar sind, spielt das LVAD die größere Rolle. Es steht als mechanisches Kreiselpumpensystem jederzeit zur Verfügung und pumpt Blut aus der linken Herzkammer in die Aorta und unterstützt damit die Pumpaktion. Der Antrieb erfolgt elektrisch über eine Stromleitung, die am Bauch durch die Haut nach außen geführt wird. Ein Steuerungsgerät und zwei Batterie- Packs trägt der Patient am Gürtel und ist damit mobil. Mit zunehmender technischer Geräte- und Batterieentwicklung wird das LVAD in den nächsten Jahren noch sicherer und komfortabler werden und eine zunehmende Rolle in der fortgeschrittenen Herzinsuffizienz spielen.
Wie kann man einer Entgleisung der Herzschwäche vorbeugen?
Durch jede akute Verschlechterung der Herzschwäche, die sogenannte Dekompensation, verschlechtert sich die Prognose der Erkrankung deutlich. Das wichtigste Behandlungsziel ist daher, Dekompensationen zu vermeiden bzw. frühzeitig zu erkennen. Ein einfaches und sinnvolles Hilfsmittel dabei kann ein Patiententagebuch sein, in dem täglich Blutdruck, Puls, Gewicht (morgens, nüchtern, nach dem ersten Toilettengang) eingetragen werden. Zusätzlich kann ein solches Tagebuch auch Angaben zu Beschwerden (z.B. Luftnot, Herzrasen, dicke Unterschenkel) beinhalten.
Sollte über zwei bis drei Tage das Gewicht deutlich ansteigen und die Luftnot zunehmen, sollte der Patient umgehend seinen Arzt aufsuchen. Oft kann man in diesem frühen Stadium einer Dekompensation durch Anpassung der Entwässerungsmedikamente eine stationäre Aufnahme vermeiden.
Besser als ein alleiniges Patiententagebuch ist aber die Betreuung durch eine spezialisierte medizinische Fachkraft, die Herzinsuffizienz-Schwester/MTA. Diese ruft den Patienten regelmäßig zuhause an und überprüft anhand einer Checkliste, ob sich Gewicht, Blutdruck oder Symptome verändert haben. Sie kann auch gleich telefonisch den Patienten zum weiteren Vorgehen beraten und falls erforderlich Termine in der Herzinsuffizienz-Ambulanz oder beim Hausarzt vereinbaren. Wir bieten diesen besonderen Service seit drei Jahren als zertifizierte Heart Failure Unit (HFU) Schwerpunktklinik an.
Viele Faktoren beeinflussen die Gesundheit des Herzens, dazu gehören unter anderem Ernährung und Bewegung.
Können Betroffene trotz Herzschwäche Sport treiben?
Bis vor ungefähr 20 Jahren wurde Patienten mit einer Herzinsuffizienz oft vom Arzt geraten, sich körperlich zu schonen, um das kranke Herz nicht zusätzlich zu belasten. Dies hat sich in vielen Studien, an denen ich zum Teil selbst aktiv mitgewirkt habe, aber als falsch herausgestellt. Wir konnten zeigen, dass regelmäßiges moderates Ausdauertraining zu einer Verbesserung der Herzleistung, der Symptomatik und Leistungsfähigkeit führt. Reiner Kraftsport hingegen wird nicht empfohlen.