Ist Pflege ein richtig geiler Job?

Ein Interview mit Pflegedirektor Andreas Zeisberg

„Pflege richtig geiler Job… Pflegekräfte ihr seid top!“ so lautet eine Zeile aus dem Song „Dieser Tag gehört der Pflege“, den Tizian Mayer und Jan-Gerrit Hörnlein anlässlich des Internationalen Tages der Pflege im Mai im Rahmen eines Pflege-Podcasts veröffentlicht haben. Die beiden Rapper sind passionierte Musiker und hauptberuflich Gesundheits- und Krankenpfleger am Klinikum Lippe. Ihr Vorgesetzter ist Andreas Zeisberg, seit 17 Jahren Pflegedirektor am Klinikum und gemeinsam mit seinem Team verantwortlich für fast 1.650 Gesundheits- und Krankenpfleger. Er weiß genau, in welchem Spannungsfeld Pflegekräfte heute, in Pandemiezeiten, aber auch ohne Corona, arbeiten. Wir wollten von ihm wissen, ob und warum Pflege ein „richtig geiler Job“ ist?

Was hat die Pandemie mit dem Berufsstand der Pflege gemacht?

Die Pandemie hat das Ansehen der Pflegekräfte noch einmal zusätzlich gestärkt. Wir haben eine große Welle von Sympathiebekundungen erlebt und es ist auch öffentlich einmal mehr sichtbar geworden, wie wichtig gut ausgebildete und motivierte Pflegekräfte für das Gesundheitssystem und unser aller Gesundheit sind. Das ist gut, aber reicht bei weitem nicht aus. Wir müssen dringend weiter am Image der Pflege arbeiten, denn wir merken, dass es gegenüber diesem Berufsstand immer noch viele Vorurteile gibt, die einfach auf Unwissenheit beruhen.

Welche Vorurteile sind das?

Öffentlich sehr präsent ist die Meinung, dass Pflege schlecht bezahlt würde. Es mag sein, dass die Arbeit am und mit Menschen uns als Gesellschaft mehr wert sein sollte. Aber ganz so schlecht ist die Bezahlung im Krankenhaus gar nicht. Dafür gibt es ganz sachliche und nachweisbare Belege, wie beispielsweise Untersuchungen des Statistischen Bundesamtes. Die haben aufgezeigt, dass die Bruttogehaltssteigerung für vollzeitbeschäftigte Gesundheitsund Krankenpfleger in Krankenhäusern in den letzten zehn Jahren fast 33 Prozent beträgt. Also man verdient als Pflegekraft in Vollzeit heute ein Drittel mehr als noch im Jahr 2010. Das ist nicht in vielen Branchen so. Wir erleben auch, dass sich immer mehr junge Menschen und vielfach auch Abiturienten für eine Ausbildung in der Pflege interessieren und dann ganz erstaunt sind über die Höhe der Ausbildungsvergütung. Dieser Aha-Effekt, wenn sich Menschen tatsächlich mit dem Verdienst als Gesundheitsund Krankenpfleger im Krankenhaus auseinandersetzen, begegnet mir sehr oft. Doch es ist ja auch kein Geheimnis, dass den meisten – zumindest meiner Kolleginnen und Kollegen – an ganz anderen Stellen der Schuh drückt.

Wo drückt denn der Schuh?

Der Schichtdienst ist sicherlich etwas, woran man sich gewöhnen kann, was aber ganz klar auch nicht ohne gesundheitliche Folgen bleibt. Hinzu kommt, dass alters- und krankheitsbedingt auch immer wieder Kolleginnen und Kollegen ausfallen, die dann ersetzt werden müssen. Daher kann ich Klagen über Anrufe am eigentlich freien Wochenende und die Bitte, ob man nicht einspringen könne, voll und ganz verstehen. Doch da wir mit Menschen arbeiten, können wir nicht einfach die Maschinen abstellen und dann weitermachen, wenn genügend Personal da ist. Wir sind gezwungen, fehlendes Personal auszugleichen, um die Patientenversorgung aufrecht zu erhalten. Unsere Patienten brauchen uns und das System Krankenhaus funktioniert nun einmal nur im Team. Deshalb wird in meiner Wahrnehmung die Forderung nach mehr Personal aktuell stetig lauter. Die meisten Kolleginnen und Kollegen hätten lieber vier helfende Hände und zwei qualifizierte Köpfe mehr auf der Station als eine Gehaltserhöhung. In diesem Punkt ist die Politik sicher gefordert.

Wie sieht es ganz konkret am Klinikum Lippe aus?

Am Klinikum Lippe haben wir weiterhin im Pflegebereich einen Bedarf an Pflegekräften, obwohl unsere Ausbildungsplätze, bei steigender Anzahl, ganz gut besetzt sind. Das liegt sicherlich auch daran, dass der öffentliche Dienst auch für junge Menschen heute noch sehr attraktiv ist und viele Vorzüge bietet. Der Großteil meiner Kolleginnen und Kollegen ist im Durchschnitt jedoch schon etwas älter, so dass wir sehen, dass das natürliche, also altersbedingte Ausscheiden aus dem Unternehmen, uns vor neue Herausforderungen stellt. Wir möchten deshalb für unseren Berufsstand werben und ganz deutlich machen, dass Pflege ein erfüllender, anspruchsvoller und abwechslungsreicher Beruf ist. Gerade weil wir wissen, dass viele hoch geschätzte Arbeitskräfte in einem relativ engen Zeitfenster in den wohlverdienten Ruhestand gehen werden, bemühen wir uns ganz besonders um den Nachwuchs. Wir wollen jungen Pflegekräften zeigen, dass wir ein attraktiver Arbeitgeber sind und Schülerinnen und Schüler motivieren, eine Pflegeausbildung abzuschließen. Dies gelingt uns auch ganz gut, denn auch hier in Lippe sehen wir den bundesweiten Trend, dass wir rund ein Viertel mehr Ausbildungsabschlüsse in der Pflege als noch vor zehn Jahren haben.

Ich bin ganz zuversichtlich, dass wir auch in Zukunft Menschen überzeugen können, in der Pflege am Klinikum Lippe zu arbeiten. Dass unsere Mitarbeiter in tollen Teams tätig und hoch motiviert sind, zeigt ja nicht nur ihr stetes Engagement für unsere Patienten, sondern zum Beispiel auch so eine Aktion wie der Krankenpflege-Rap oder der Rap zum Tag der Pflegenden. Und der Aussage der beiden Songs kann ich mich nur anschließen: Auch ich bin stolz, Pflegekraft zu sein – wenn auch nicht mehr an vorderster Front – und auch ich finde, dass Pflege ein richtig geiler Job ist!