Universitäre Forschung und Krankenversorgung werden vernetzt
Die Corona-Pandemie stellt uns alle vor neue Herausforderungen. Insbesondere die Krankenhäuser kämpfen dabei gleichzeitig an mehreren Fronten. Patienten müssen versorgt werden, denn andere akute oder chronische Krankheiten oder Unfälle nehmen keine Rücksicht auf die hohe Mehrbelastung des Gesundheitssystems durch die Pandemie. Gleichzeitig werden die Intensivstationen immer wieder von beatmungspflichtigen, am Coronavirus schwer erkrankten Patienten überflutet. Auch die Behandlung der Patienten, die zwar mit Corona im Krankenhaus sind, aber nicht auf die Intensivstation müssen, erfordert aufgrund der Schutzmaßnahmen mehr Zeit. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die privat selbst von Einschränkungen oder Homeschooling betroffen sind, gehen bis an ihr Limit und oftmals darüber hinaus.
Trotz dieser Mammutaufgabe stellen sich die Krankenhäuser zusätzlich der Herausforderung durch Forschung und Wissensaustausch der Pandemie entgegenzutreten. Dabei spielen insbesondere die Universitätskliniken – und als Teil des Universitätsklinikum OWL der Universität Bielefeld auch das Klinikum Lippe – eine entscheidende Rolle. Nur durch eine bundesweite Abstimmung lässt sich die Ausbreitung des Virus möglichst effektiv eindämmen und gleichzeitig die medizinische Versorgung der Patienten optimieren.
Netzwerk Universitätsmedizin / NUM
Zur Koordination der Forschungsarbeit hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Jahr 2020 das „Netzwerk Universitätsmedizin“ gegründet und insgesamt 150 Millionen Euro für die Arbeit bereitgestellt. 36 Universitätskliniken in ganz Deutschland haben sich in diesem Verbund zusammengeschlossen, um in 13 klinikübergreifenden Projekten Erkenntnisse über das Virus sowie seine Mutationen zu sammeln und auszuwerten.
Dazu erklärte Bundesforschungsministerin Anja Karliczek anlässlich der NUM-Gründung: „Wir brauchen wirkungsvolle Konzepte, um die Menschen, die an Covid-19 erkranken, bestmöglich behandeln zu können. Und wir müssen die besten Strategien finden, um die Ausbreitung der Pandemie einzudämmen. Ich bin überzeugt davon, dass die heute vom Netzwerk Universitätsmedizin vorgestellten Forschungsarbeiten hierzu einen wichtigen Beitrag leisten werden. Ich wünsche den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern viel Erfolg bei ihrer Arbeit. Das Netzwerk Universitätsmedizin ist in dieser Form einmalig. Alle deutschen Universitätskliniken sind Teil dieses Netzwerkes. Die Kliniken tauschen ihr Wissen und ihre Erfahrungen mit der Behandlung von Covid-19-Erkrankten aus und lernen so fortlaufend miteinander und voneinander. Gemeinsam lösen sie drängende Fragen für die Verbesserung der Behandlung und entwickeln Behandlungsstrategien und -konzepte, die eine bestmögliche Versorgung der Patientinnen und Patienten sichern. Außerdem suchen sie nach den besten Wegen, die Pandemie unter Kontrolle zu halten. Für diesen unermüdlichen Einsatz danke ich allen beteiligten Akteuren.“
Konkret hat das NUM zum Ziel, Daten, Erkenntnisse, Maßnahmenpläne, Diagnostik- und Behandlungsstrategien möglichst aller deutschen Universitätskliniken und ggf. weiterer Akteure zusammenzuführen und auszuwerten. Durch diese Bündelung des Wissens, der Kompetenzen und Ressourcen sollen Strukturen und Prozesse in den Kliniken geschaffen werden, die eine möglichst optimale Versorgung der Covid-19-Erkrankten sicherstellen. Gleichzeitig soll das Pandemiemanagement durch Versorgungsforschung und die Entwicklung praxisnaher Empfehlungen unterstützt werden. Zwei der Verbundprojekte des NUM werden am Klinikum Lippe federführend für das UK OWL vorangetrieben.
Nationales Pandemie Kohorten Netz / NAPKON
Zielstellung von NAPKON ist es, Daten und Bioproben von Patienten mit einer bestätigten Corona-Infektion ein“heitlich und dauerhaft standardisiert zu erfassen und somit die Basis zur Erforschung des Virus zu schaffen. Unter der Leitung von Priv.-Doz. Dr. Johannes Tebbe, Chefarzt der Klinik für Gastroenterologie und Infektiologie, und Prof. Dr. Thomas Brune, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, werden bereits Patientendaten in das Projekt NAPKON eingebracht. Mit hohem Aufwand werden die Proben (Blut, Speichel und Urin), die von den Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern, die an COVID-19 erkrankt sind, entnommen werden und bei minus 80 Grad bzw. minus 196 Grad eingelagert. Dafür wurde zunächst eine so genannte „Krankheitsspezifische Biobank“ etabliert. In einer Biobank werden unterschiedliche Proben von Personen eingelagert. Sie ist somit eine Sammlung von Stoffen, Körperflüssigkeiten und Geweben. Zu den Proben werden weitere Informationen von den Personen gespeichert. Das sind Informationen wie Krankheitsgeschichte, Alter, Lebensumstände. Die Proben mit den Informationen zu den Personen können so zu einem späteren Zeitpunkt analysiert werden.
Deutsches Forschungsnetzwerk Autopsien bei Pandemien / DEFEAT PANDEMIcs
DEFEAT PANDEMIcs soll eine Datenplattform bereitstellen, die hochwertige Daten und Bioproben von möglichst vielen Autopsien deutschlandweit für qualifizierte Forscher zugänglich macht. Hier hat das Institut für Pathologie des Klinikums Lippe unter der Leitung von Prof. Dr. Torsten Hansen die Rolle des universitären Autopsiezentrums für das UKOWL übernommen. Neben der Durchführung und detaillierten Dokumentation der Obduktionen an COVID19-positiven Verstorbenen steht die bundesweite Sammlung der Autopsiedaten über eine zentrale Datenbank (RWTH Aachen) und die lokale Sicherung von Gewebeproben im Vordergrund. Die Erfassung von Gewebsmaterial dient dabei einerseits der Diagnostik, hat aber auch die Sammlung von Gewebe-Bioproben für wissenschaftliche Zwecke in Form einer Gewebebasierten Biobank zur Aufgabe.
Bisher haben Chefarzt Prof. Dr. Torsten Hansen und sein Team Proben von insgesamt rund 30 Verstorbenen untersucht. „Wir können daraus ableiten, dass das Coronavirus die Lunge extrem schädigt. Sicherlich spielen Vorerkrankungen für den Verlauf der Infektion eine Rolle, klar ist aber auch, dass es das Virus selbst ist, welches tödlich wirkt und so können wir feststellen, dass die Todesursache bei 75 bis 85 Prozent der untersuchten Patienten das Virus war“, fasst er die bisherigen Erkenntnisse zusammen.
Um derartige Untersuchungen durchführen zu dürfen, müssen immer erst die Angehörigen zustimmen, selbst in einer Pandemie. Fast 350 Menschen, die an oder mit Corona verstorben sind, zählt der Kreis Lippe aktuell. Davon wurden ungefähr zehn Prozent obduziert. „Die erforderliche Autopsie kann heute oftmals minimalinvasiv durchgeführt werden. Das hat dann erstmal nichts mit den Bildern, die viele aus dem Fernsehen kennen zu tun. Wir haben am Klinikum Lippe die Möglichkeit, in einem ersten Schritt mit Hochleistungsultraschall und winzigen Biopsieproben Erkenntnisse und Gewebe zu gewinnen, ohne den Körper öffnen zu müssen. Unsere speziell geschulten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können dann entscheiden, ob eine komplette Autopsie notwendig ist“, so Hansen weiter.
Die Untersuchungen der mit oder am Coronavirus verstorbenen Patienten finden unter speziellen Bedingungen statt. Der Obduktionsraum ist mit einer separaten Lüftungsanlage und Spezialfiltern ausgerüstet und der Zugang erfolgt über eine Schleuse. „Es sind immer mindestens drei Personen an der Autopsie beteiligt. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tragen Schutzausrüstung und präparieren Gewebeproben verschiedener Organe. Diese Proben werden dann in Paraffin- Blöcken asserviert, so dass wir sie lange aufbewahren und auch zu einem späteren Zeitpunkt erneut untersuchen können“, beschreibt Prof. Dr. Hansen den Ablauf der Obduktion, die vier bis fünf Stunden dauert. Er ist sich sicher „Eine wichtige Grundlage der Pandemiebekämpfung ist, dass wir möglichst viel über das Virus lernen. Dafür legt unsere Arbeit den Grundstein“.