Früh aufstehen, um ganz nahdran zu sein

Hauptamtliche Praxisanleiter begleiten Transfer der Theorie in die Praxis

Ein Morgen im März 2021, 5:30 Uhr, mein Wecker klingelt. Aus Angst, den Wecker nicht zu hören, hatte ich eine unruhige Nacht – schnell unter die Dusche, in der Hoffnung irgendwelche Lebensgeister wiederzuerwecken. Ein Blick in den Spiegel offenbart mir, dass mir zwei Stunden Schlaf mehr, gut zu Gesicht gestanden hätten. Für die Anderen ist es sicherlich auch früh, denke ich mir und ich mache mich bewaffnet mit einem Kaffee auf den Weg zum Klinikum. Vor der Verabredung mit Heike Prange auf der Station 4a, hole ich mir noch aus der Umkleidekabine, dem Lagerraum für Berufsbekleidung, weiße Arbeitskleidung. Bis unter die Decke stapelt sich in hohen Regalen die einheitliche Kleidung der Ärzte und des Pflegepersonals. Trotz starker Müdigkeit, empfinde ich eine angenehme Euphorie des Morgengrauens – der frühe Vogel fängt bekanntlich den Wurm und ein Nachhall des Vogelgezwitschers, begleitet mich auf dem Weg zu meiner Verabredung.

Beim Betreten eines der Büros für Praxisanleiter*innen im Bereich 4a begrüßt mich Heike Prange, eine quirlige Frau in ihren 50ern, mit schwarzem, zu einem Zopf gebunden lockigen Haar, mit freundlichen Worten und einem Blick der unter der FFp2 Maske ein herzliches Lächeln erahnen lässt. Im Hintergrund sitzt eine junge Pflegeschülerin, die mir als Marlena vorgestellt wird.

Die 19-Jährige hat im letzten Jahr ihre Ausbildung zur Pflegefachkraft begonnen, nachdem sie ein duales Jura- und Soziologiestudium abgebrochen hat. „Ich habe nach kurzer Zeit gemerkt, dass dieses Studium einfach nicht zu mir passt und habe überlegt, dass die Arbeit am und mit den Menschen besser zu mir passt.“ Nachdem sie ihre Eltern von ihrem Entschluss überzeugt hatte, bewarb sie sich für die dreijährige Ausbildung zur Pflegefachkraft am Klinikum Lippe in Detmold. „Ich habe den Wechsel bisher noch nicht bereut. Der Umgang mit den Menschen ist geprägt von großer Dankbarkeit und es ist schön zu sehen, wenn Patienten krank und traurig zu uns kommen und das Krankenhaus später gesund und glücklich wieder verlassen.“

Marlena wendet sich wieder dem Computer zu und bereitet sich auf die anstehende Praxisanleitung vor. Sie soll sich auf die richtige Validierung des Patienten, der heute wieder entlassen werden soll, einstellen und seinen körperlichen, als auch geistigen Zustand überprüfen. Zusätzlich soll sie eine Internetrecherche zum Thema „Diabetisches Fußsyndrom“ machen.

Früh aufstehen, um ganz nahdran zu sein

Marlena Gördes, Auszubildende im ersten Lehrjahr

Heike führt mich in die Stationsküche und beschreibt mir den Sinn und Zweck einer Praxisanleitung. Für jede*n Auszubildende*n werden während der dreijährigen Ausbildung 250 Stunden begleiteter Praxisunterricht geplant. Dafür hat das Klinikum Lippe an seinen Standorten in Detmold und Lemgo, seit dem 1. April 2021, 18 Vollzeitstellen aus der gesamten Anzahl weitergebildeter Praxisanleiter*innen geschaffen, die sich zukünftig ausschließlich um die optimale praktische Grundausbildung der Auszubildenden kümmern. „Die Praxisanleitung ist ein wichtiger Bestandteil der Ausbildung. Woher sollen denn die jungen Pfleger*innen, wissen wie richtige Pflege funktioniert. Das Mitlaufmodell ist einfach zu ungenau und Fehler werden von Generation zu Generation weitergegeben. Mit der Praxisanleitung stellen wir sicher, dass der Transfer von theoretischem Wissen in die Praxis nach unseren hohen Qualitätsstandards verläuft“, sagt Heike, die sich ausschließlich um die Organisation und Durchführung der Praxisanleitungen kümmert. „Früher kam es häufiger zu Problemen die Praxisanleitungen durchzuführen, weil die Praxisanleiter oftmals personelle Engpässe auf den Stationen ausgleichen mussten. Dieses Problem werden wir jetzt durch die Umstrukturierung mit dem Team der hauptamtlichen Praxisanleiter*innen, die sich ausschließlich um die Praxisanleitungen kümmern lösen.“

Für mich klingt das alles erstmal plausibel. Als jemand, der mit dem Pflegeberuf bisher noch fast keinen Kontakt hatte, reduziert sich meine Kenntnis über diesen Berufszweig auf ein gesellschaftlich geprägtes Bild und um ehrlich zu sein, habe ich bei Heikes ausufernden Erklärungen teilweise das Gefühl, ob da nicht heißer gekocht wird, als gegessen. Die folgende Stunde wird mich eines Besseren belehren.

Wir machen uns zu dritt in gelben Schutzanzügen auf den Weg auf Station 5a, wo chronische Wunden behandelt werden. Wir betreten das Zimmer von Herrn Mundel (Name geändert), der sich im Vorhinein als Patient für Marlenas Praxisanleitung bereiterklärt hat und ich darf die Situation fotografisch begleiten. Der alte, hagere Mann, liegt alleine in seinem Krankenzimmer. Sein scheinbar sehnliches Warten auf Gesellschaft, wird von einem motivierten „Guten Morgen, Herr Mundel“ und Marlenas Frage nach seinem heutigen Wohlbefinden durchbrochen, was dem Patienten einen aufbauenden Glanz in die Augen zaubert.

Die Aufmerksamkeit der Auszubildenden liegt voll und ganz auf der Versorgung des Patienten. Ich persönlich finde es bewundernswert, wie Marlena mit Herrn Mundel, dessen Hör- und Sehfähigkeiten beeinträchtigt sind, umgeht. Sie sucht den Augenkontakt, hat keine Angst vor Berührungen und schafft es, dem Patienten während der kurzen Versorgungszeit Vertrauen zu schenken. Für mich erscheinen die Tätigkeiten wie Verbandskontrolle, das Entleeren der Urinflasche und das Waschen des Rückens wie beiläufige Nebensächlichkeiten, überlagert von einem wertschätzenden und wohlwollenden Mindset. Es scheint für mich wie ein Spiel, in dem Marlena sich geschickt den medizinischen Sorgen und Beschwerden des betagten Patienten mit beiläufigen Fragen annähert, um diese gesammelten Informationen nach der Versorgung in die Patientenakte und Pflegepläne einfließen zu lassen. Zwischenzeitlich korrigiert Heike vertrauensvoll Marlenas Handgriffe.

Es geht um die ordnungsgemäße Verwendung von Gummihandschuhen und Desinfektionsmitteln, die patientengerechte Mobilisierung, das fachgerechte Versorgen von Wunden und die Unterstützung bei alltäglichen Aufgaben. „Es ist beeindruckend wie sich Marlena seit ihrer ersten Praxisanleitung vor ca. einem halben Jahr weiterentwickelt hat“ schwärmt die Praxisanleitung über ihre Auszubildende. „Ich bin für die direkten Hinweise von Frau Prange dankbar und man kann das Gelernte wunderbar in den Praxisalltag integrieren“, reagiert Marlena auf meine Frage, wie sie mit den Korrekturhinweisen ihrer Anleiterin umgeht. In meinen Augen sind die Voraussetzungen für eine Ausbildung auf Augenhöhe, gegenseitiges Vertrauen und Offenheit und mit diesen Tugenden wurde auch mir begegnet. Man muss natürlich sagen, dass man sich als Pflegekraft im Alltag sicherlich nicht so viel Zeit für jeden Patienten nehmen kann, wie in einer Praxisanleitungssituation, jedoch ist es beruhigend zu wissen, dass die grundsätzliche Idee von Pflege viel besser ist als ihr Ruf. Ich mache mich auf den Weg nach Hause, fühle mich müde, aber beseelt und bin mir sicher, dass diese positive Erfahrung mich mein ganzes Leben begleiten wird.