Urologen: Fachärztinnen und -ärzte, denen Männer und Frauen vertrauen
Inkontinenz ist ein Tabuthema, obwohl der unkontrollierbare Abgang von Harn oder Stuhl weit verbreitet ist und jeden treffen kann. Experten schätzen, dass in Deutschland etwa 10 Millionen Menschen an einer Harn- oder Stuhlinkontinenz leiden. Betroffene erhalten kompetente und diskrete Unterstützung im Kontinenz- und Beckenbodenzentrum Lippe am Standort Detmold. Die hohe Behandlungsqualität der Experten vor Ort wurde aktuell durch eine erfolgreiche Rezertifizierung bestätigt.
Am zertifizierten Kontinenz- und Beckenbodenzentrum Lippe arbeiten die Klinik für Urologie, die Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie und die Klinik für Gynäkologie als Hauptkooperationspartner mit vielen weiteren Bereichen eng zusammen. „Nur durch diese interdisziplinäre Ausrichtung können wir unseren Patientinnen und Patienten optimale Beratungs- und Behandlungsmöglichkeiten anbieten, wenn „unten herum“ nicht mehr alles dicht ist“, bringt es Prof. Dr. Karl Dietrich Sievert, Zentrumsleitung und Leitender Arzt der Klinik für Urologie, auf den Punkt. Er weiß aus seinen Sprechstunden, dass „viele Betroffene sich aus Scham oder Furcht aus ihrem sozialen Umfeld zurückziehen. Diese Isolation ist gar nicht notwendig, wenn der Schritt zum Facharzt erstmal gemacht ist.“
Auch Annegret Pollhans hatte Kontinenzprobleme. Für eine Reportage der Lippischen Landeszeitung hatte die 72-Jährige im vergangenen Jahr sogar ganz offen über ihre Blasenschwäche und die Verbesserung nach der roboterassistierten Operation berichtet. Noch vor ein paar Jahren beherrschte der Gedanke an die nächste Toilette ihren Alltag. Inzwischen geht sie lieber spazieren oder fährt in den Urlaub – mit neu gewonnener Lebensqualität und ganz ohne an WCs oder dicke Einlagen zu denken.
Prof. Dr. Karl Dietrich Sievert, Leiter des Kontinenz- und Beckenbodenzentrums Lippe, hatte der Patientin mit Unterstützung eines OP-Roboters einen sogenannten artifiziellen Sphinkter eingesetzt. Bei dieser Operation wird eine künstliche Manschette um die Harnröhre gelegt und damit die Funktion des Schließmuskels ersetzt. Die Manschette kann mit steriler Kochsalzlösung aufgefüllt werden und verschließt dann durch den Druck die Harnröhre. Die Entscheidung für die Operation war für Annegret Pollhans ein Glücksfall. Ihr offener Umgang mit ihrer Krankheitsgeschichte soll anderen Betroffenen helfen, den wichtigen Schritt zum Arzt zu wagen und sie so vor der sozialen Isolation bewahren.
Doch nicht jeder von Harn- oder Stuhlinkontinenz betroffene Mensch hat den gleichen Mut. Ein Beispiel ist Elena K. (Name von der Redaktion geändert). Sie ist Ende 30 und leidet nach den Geburten ihrer drei Kinder unter Harninkontinenz. Jedes Niesen, Husten oder Lachen führt zum unkontrollierbaren Abgang von Urin. Auch das Tragen ihrer Kleinkinder und Tätigkeiten im Haushalt, bei denen sie Dinge anheben muss, bereiten ihr zunehmend Probleme. Schuld ist ihr Beckenboden, der durch die Geburten geschwächt und nicht ausreichend trainiert wurde.
Der Beckenboden bildet den muskulären Abschluss des Bauchraums nach unten. Er trägt zur stabilen Positionierung der Beckenorgane – Blase, Harnröhre und Darm – bei. Sowohl der Verschluss der Ausscheidungsorgane als auch ihre Entleerung werden maßgeblich über die Beckenbodenmuskulatur beeinflusst. Gezieltes Beckenbodentraining soll nun helfen. Wenn dies nicht den gewünschten Erfolg zeigt, möchte auch Elena K. sich operieren lassen. Sie ist kein Einzelfall. Experten schätzen, dass jede dritte Frau in Deutschland unter Urinverlust leidet. Die Dunkelziffer dürfte beim Thema Inkontinenz jedoch um ein Vielfaches höher liegen und auch Männer sind mit steigendem Lebensalter stärker betroffen.
Die Versorgung der von Inkontinenz betroffenen Menschen erfordert deshalb zum einen viel Feingefühl, Vertrauen und Diskretion. Aber auf der anderen Seite auch genaue medizinische Kenntnisse zu den unterschiedlichen Inkontinenzformen sowie deren Diagnostik und Therapie. Spezialisierte Ärzte und Ärztinnen der Chirurgie, Frauenheilkunde und Urologie arbeiten im Kontinenz- und Beckenbodenzentrum Hand in Hand, um für die Patientinnen und Patienten den bestmöglichen Behandlungserfolg zu gewährleisten. Ausgebildete Kontinenzberater und -beraterinnen bieten optimale Lösungen zur Alltagsbewältigung und Verbesserung der Lebensqualität. Das Team der Physiotherapie steht Betroffenen zusätzlich mit speziellen Trainingsprogrammen und alltagstauglichen Tipps zur Seite.
Am Beginn jeder Inkontinenztherapie steht die Suche nach den Ursachen, die ganz individuell sein können. Im Kontinenz- und Beckenbodenzentrum Lippe wird daher immer eine ausführliche Anamnese mittels Fragebogen und persönlichem Gespräch durchgeführt. Im Anschluss erfolgen eine Spiegelung des Enddarms, die sogenannte Proktoskopie und Rektoskopie, und eine Ultraschalluntersuchung des Analkanals (Endosonographie). Weitere Untersuchungen sind unter Berücksichtigung der erhobenen Befunde möglich. Ist die genaue Ursache für die Inkontinenz gefunden, bietet das Team individuelle Behandlungsoptionen an. Dabei enthält das Leistungsspektrum nahezu alle konservativen und operativen Therapiemöglichkeiten. Oftmals werden diese Maßnahmen auch sinnvoll kombiniert, um das bestmögliche Ergebnis zu erhalten.
HARNINKONTINENZ
Es gibt verschiedene Formen der Harninkontinenz mit ganz unterschiedlichen Ursachen.
Belastungsinkontinenz
In ungefähr 60 Prozent aller Fälle von Harninkontinenz liegt eine sogenannte Belastungsinkontinenz vor. Diese tritt nicht unbedingt erst im höheren Lebensalter auf. Auch junge Menschen aller Geschlechter können betroffen sein. Unter körperlicher Belastung, z. B. beim Husten, Niesen, Lachen oder Heben, übersteigt der Blasendruck den Verschlussdruck der Harnröhre und es kommt zum unwillkürlichen Urinverlust. Hier ist neben der Beckenbodenschwäche, eine Veränderung des Bindegewebes, der Durchblutung der Blasenhalsregion oder eine Fehlsteuerung des Blasenverschlussmechanismus die Ursache.
Dranginkontinenz
Bei der Dranginkontinenz handelt es sich um eine Inkontinenzform, die durch ein unwillkürliches Zusammenziehen der Blasenmuskulatur entsteht. Auch Erkrankungen, wie z. B. Multiple Sklerose oder Diabetes mellitus, können eine Harnblaseninstabilität verursachen. Durch eine fehlerhafte Reizweiterleitung an der Blaseninnenseite, ohne dass die Blase entsprechend gefüllt ist, wird eine „Fehlinformation“ ausgelöst und ein plötzlicher Harndrang entsteht, der in einem Harnverlust münden kann.
Reflexinkontinenz
einer Querschnittslähmung, wird die Kontrolle des Blasensteuerungszentrums im unteren Teil des Rückenmarks von der zentralen Steuerung im Gehirn abgeschnitten. Blase und Schließmuskelfunktion lassen sich dann nicht mehr koordinieren und es kommt zum reflektorischen, unwillkürlichen Urinabgang.
Überlaufinkontinenz
Durch zu hohe Restharnmengen kommt es bei der Überlaufinkontinenz zum kontinuierlichen Druckanstieg in der Blase. Bei chronischem Verlauf wird die Blasenmuskulatur überdehnt und der Verschlussmechanismus überwunden. Die Folge ist ein entsprechender Urinabgang. Ursachen der Überlaufinkontinenz können z. B. Medikamente sein, welche die Blasenmuskulatur schwächen. Bei der Frau kann auch eine Senkung der Blase oder Gebärmutter zu einer Blasenentleerungsstörung mit hohen Restharnmengen führen. Beim Mann ist in der Regel die Veränderung der Prostata eine Ursache für diese Inkontinenzform. Therapieansatz ist hier entweder die Umstellung der bestehenden Medikation oder eine operative Beseitigung der Ursache.
Senkungsbeschwerden der Frau
Senkungsbeschwerden von Blase, Harnröhre, Gebärmutter oder des Enddarms können einzeln oder gemeinsam auftreten. Hier kann neben einer gestörten Beckenbodenfunktion auch eine Veränderung des Bindegewebes, eine schlechte Durchblutung oder eine Fehlbelastung der Grund für eine Senkung sein. Auch Schwankungen im Hormonhaushalt sind nicht selten Ursache einer Beckenbodenstörung. Einer der Hauptfaktoren für generelle Störungen des Beckenbodens sind Überdehnung und Verletzungen unter der Geburt. Die Beschwerdesymptomatik kann hier recht unterschiedlich sein. Von „Fremdkörpergefühl“ in der Scheide, Harn‐ und /oder Stuhlinkontinenz bis zu Schmerzen beim Geschlechtsverkehr reichen die Symptome. Senkungsbeschwerden können durch spezielle Beckenbodengymnastik oftmals frühzeitig verbessert werden, aber auch eine operative Korrektur ist manchmal notwendig.
STUHLINKONTINENZ
Der Begriff Stuhlinkontinenz bezeichnet das Unvermögen, den Inhalt des Darms im Enddarm zurückzuhalten. Der unwillkürliche Verlust von Darminhalt – Luft, Darmschleim oder Stuhl – ist die Folge und ein Symptom unterschiedlicher Erkrankungen. So können die Ursachen im Bereich des Schließmuskels oder des Analkanals liegen, aber auch neurologische Erkrankungen, Veränderungen der Stuhlkonsistenz und (entzündliche) Darmerkrankungen können eine Stuhlinkontinenz verursachen.
Das DaVinci-Operationssystem wird am Klinikum Lippe von der Klinik für Urologie sowie der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie genutzt. Foto: Mit freundlicher Genehmigung der Intuitive Surgical Deutschland GmbH
COMPUTERASSISTIERTES OPERIEREN IN DER UROLOGIE
Das Team des Kontinenz- und Beckenbodenzentrum Lippe setzt unter bestimmten Voraussetzungen das DaVinci-Operationssystem ein. Das computergesteuerte System erleichtert es dem Operateur, Nerven und Muskeln optimal zu erkennen und das Verletzungsrisiko dieser sensiblen Strukturen zu minimieren. Der Urologe steuert über eine Konsole die Instrumente millimetergenau und zitterfrei. Durch ein etwa zehnfach vergrößertes dreidimensionales Bild kann jede kleine Gewebestruktur genau erkannt werden. Dadurch bietet dieses Verfahren der minimalinvasiven, bildgestützten Präzisionschirurgie viele Vorteile für den Operateur und die Patienten.
Die Urologen profitieren von überlegener Visualisierung, verbesserter Geschicklichkeit, größerer Genauigkeit und ergonomischem Komfort. Für die Patienten bedeutet dies neben den Vorteilen der präziseren Operation eine deutlich reduzierte Narbenbildung und eine geringere Komplikationsrate sowie eine kürzere Genesungszeit. Das daVinciR- Operationssystem ist ein modernes Werkzeug des Chirurgen, das ihm hilft, besser zu sehen und präziser zu arbeiten, ihn in seinem Wissen und Können unterstützt, aber keinesfalls ersetzt.
Klinik für Urologie
Die Urologie ist ein vielfältiges medizinisches Fachgebiet, welches die Gesundheit von Männern und Frauen gleichermaßen im Blick hat. Und so ist die Klinik für Urologie am Klinikum Lippe auch gleich für drei Schwerpunktzentren verantwortlich. Neben dem jüngst rezertifizierten Kontinenz- und Beckenbodenzentrum Lippe kümmert sich das Team um Chefarzt Dr. Alfons Gunnemann und den Leitenden Oberarzt Prof. Dr. Karl Dietrich Sievert federführend auch um das zertifizierte Prostatazentrum Lippe und das Uroonkologische Zentrum Lippe, dessen Zertifizierung zu Jahresbeginn beantragt wurde.
Kontinenz- und Beckenbodenzentrum Lippe
Dr. Britta Eikötter, Prof. Dr. Karl Dietrich Sievert und Dr. Dorothea Möller freuten sich über die erfolgreiche Zertifizierung.