Diagnose: Long-COVID

Ambulante Versorgung von Corona- Erkrankten am Klinikum Lippe

Corona beherrscht seit gut anderthalb Jahren unseren Alltag. Nachdem wir gelernt haben, Einschränkungen und erforderliche Maßnahmen zu akzeptieren, müssen wir uns nun mit den gesundheitlichen Langzeitfolgen einer überstandenen COVID-19-Infektion auseinandersetzen. Denn wie wir heute wissen, ist genesen nicht immer gleichbedeutend mit gesund. Bleiben Symptome sprechen Experten vom sogenannten Long-COVID.

Der genaue Anteil der Betroffenen ist unklar, nach bisheriger Studienlage ist davon auszugehen, dass zehn bis zwanzig Prozent der Erkrankten eine Long-COVID-Symptomatik entwickeln. Dabei sind es nicht nur die Patienten mit schweren Verläufen und intensivmedizinischer Behandlung, bei denen diese Langzeitfolgen auftreten. Die Mediziner im Klinikum Lippe beobachten seit mehreren Monaten Patientinnen und Patienten mit unterschiedlichsten Beschwerden, die die Lebensqualität und Leistungsfähigkeit im Alltag deutlich beeinträchtigen.

In der Long-COVID-Ambulanz des Klinikum Lippe, die seit April 2021 besteht, werden Patienten behandelt, welche die akute Phase einer Corona-Erkrankung überstanden haben und dennoch unter Beeinträchtigungen leiden. Einer von ihnen ist Andre K. (Name von der Redaktion geändert). Ihm konnte in der Klinik für Pneumologie, Schlaf- und Beatmungsmedizin am Standort Lemgo geholfen werden.

Andre K. ist 25 Jahre alt, unternehmungsfreudig und sportlich. Im Dezember 2020 wacht er morgens mit Halsschmerzen auf und fühlt sich den ganzen Tag über ganz matt. Er denkt zunächst an eine starke Erkältung, meldet sich bei seinem Arbeitgeber ab und bleibt Zuhause. Im Tagesverlauf bekommt er Fieber und bemerkt einen Geschmacksverlust. Er hatte im Internet gelesen, dass der Verlust des Geruchs- oder Geschmackssinns auf eine Corona-Erkrankung hinweisen kann. Der Test bringt dann die Gewissheit, es ist COVID-19.

Der junge Mann muss nicht im Krankenhaus behandelt werden, sondern kann den eher milden Krankheitsverlauf in häuslicher Quarantäne auskurieren. Und tatsächlich geht es ihm schnell besser. Als er im Januar 2021 seine Arbeitstätigkeit wieder aufnimmt, gerät er ständig in Luftnot. Tätigkeiten, die ihm vertraut sind und ihn nie beeinträchtigt haben, sind für ihn kaum zu bewältigen. Andre K. hatte zwar schon bemerkt, dass er allgemein nicht mehr so fit war, hatte aber gedacht, dass dies an der Quarantäne lag, die er notgedrungen Zuhause verbringen musste. Seine sonstigen Freizeitaktivitäten wie Fahrradfahren oder Fitnessstudio fielen in dieser Zeit aus.

Andre K. möchte so weiterleben, wie vor der Corona-Erkrankung. Er versucht zu arbeiten und auch seine Freizeit wieder aktiv zu gestalten, doch er gerät immer wieder in Luftnot. Die Attacken sind mit der Zeit sogar so schlimm, dass er nicht mehr richtig durchatmen kann. Er geht mehrmals zum Hausarzt und lässt sich durchchecken, doch selbst der Röntgenbefund seiner Lunge ist unauffällig. Langsam kommt sich der sonst so aktive Andre K. vor wie ein Simulant.

Der Hausarzt schickt ihn im Mai 2021 ins Klinikum Lippe. Aufgrund der Atemprobleme stellt er sich in der Klinik für Pneumologie, Schlaf- und Beatmungsmedizin in Lemgo vor. Die Lungenspezialisten stellen nach ausführlichen Untersuchungen die Diagnose: Asthma mit schwer eingeschränkter Lungenfunktion. Sie stellen außerdem eine massive Schwäche der Atemmuskulatur fest. Für Andre K. ist dies eine Botschaft, die er mit einem lachenden und einem weinenden Auge betrachtet. Endlich hat er eine Diagnose. Endlich kann man ihm helfen. Doch das neu entstandene Asthma ist für ihn auch eine erschreckende Meldung, schließlich war er immer sehr aktiv. Kann er seine sportlichen Aktivitäten und seinen körperlich anstrengenden Beruf jetzt nicht mehr länger ausführen?

Das Team um Chefarzt Dr. Maik Brandes beruhigt Andre K. Es ist für ihn und seine Genesung wichtig, schrittweise vorzugehen. Die genaue Diagnose ermöglicht auch die bestmögliche Therapie. Für den jungen Lipper bedeutet dies zunächst eine inhalative Therapie gegen das Asthma mit mehrfachen, fast wöchentlichen Kontrollen. Parallel werden Begleiterkrankungen wie Herzschwäche oder Lungenembolie mit Hilfe weiterer Untersuchungen im Klinikum Lippe ausgeschlossen. Dann macht Andre K. eine ambulante, spezialisierte Atemtherapie. Zusätzlich wird ihm ein Atemtrainer verordnet, welcher die Belastbarkeit der Lunge langsam wieder steigern soll. Doch die Ärzte sind auch ehrlich. Welche Einschränkungen in welcher Intensität dauerhaft bleiben, kann heute noch niemand sagen.

Aktuell bekannte und häufigste Symptome von Long-COVID


  • Chronische Müdigkeit und Erschöpfung (Fatigue-Syndrom)
  • Atembeschwerden
  • Muskel- und Gelenkschmerzen
  • Herzrhythmusstörungen
  • Kopfschmerzen
  • Konzentrations- und Gedächtnisstörungen
  • Leistungsschwäche und Schwindel
  • Depressionen und Angstzustände
  • Beeinträchtigungen des Geruchsund Geschmackssinnes
„Unter engmaschiger Kontrolle konnten wir das Asthma gut einstellen. Das war wichtig, denn erst nach der Behandlung des Asthmas war unser Patient überhaupt in der Lage, mit der Atemtherapie zu beginnen. Die Atemtherapie Zuhause und die Physiotherapie zeigen nun langsam eine Verbesserung seiner Belastungsfähigkeit, so dass er nach einer Reha-Maßnahme voraussichtlich im Herbst wieder sein gewohntes Leben und seine Arbeitstätigkeit mit Einschränkungen aufnehmen kann. Fälle wie die von Herrn K. sehen wir in der Long-COVID-Ambulanz jetzt häufiger und genau wie in der ganzen aktuellen Pandemie gilt: Wir lernen während des Geschehens. Das ist auch für uns Mediziner eine besondere Situation. Doch je genauer wir Diagnosen stellen können, desto schneller und optimaler können wir den Long-COVID-Betroffenen helfen. Dabei können wir auf unsere etablierten und modernen Untersuchungsmethoden sowie auf unsere fachliche Expertise zurückgreifen. Ein enormer Vorteil ist aus meiner Sicht hier auch die Vernetzung innerhalb der Klinik. In der Long-COVID-Ambulanz können wir uns interdisziplinär auf kurzen Wegen austauschen, damit der Patient schnellstmöglich mit der Therapie beginnen kann.“

Dr. Maik Brandes Chefarzt der Klinik für Pneumologie, Schlaf- und Beatmungsmedizin

Patienten, bei denen unklar ist, ob sich nach überstandener Infektion ernsthafte Folgeschäden entwickeln, können mit einer Überweisung in der Long-COVID-Ambulanz des Klinikum Lippe behandelt werden. Entscheidend für die Wahl des Fachgebietes ist das zum Zeitpunkt der Überweisung stärkste Symptom.

Viele der scheinbar genesenen Patienten leiden – unabhängig von der ursprünglichen Schwere der Infektion – an den Spätfolgen der Erkrankung. Noch mehr als in der akutklinischen Phase sind an dieser Stelle interdisziplinäre Konzepte zur mit regelhaften Fallkonferenzen gefordert. Durch die Vielzahl der versorgten Patienten konnte an den Klinikstandorten Detmold und Lemgo in den vergangenen Monaten ein entsprechendes Erfahrungswissen generiert werden, das regelhaft um neueste wissenschaftliche Erkenntnisse zum Krankheitsgeschehen aktualisiert wird, zum Beispiel durch die intensive Beteiligung des Klinikum Lippe an dem Nationalen Pandemie Kohorten Netzwerkes (NAPKON). Wie im akutklinischen Arbeitsalltag üblich, werden die betroffenen Patienten interdisziplinär behandelt, z.B. unter Hinzuziehung von Fachärzten der Abteilungen für Kardiologie und Neurologie.

An der Long-COVID-Ambulanz des Klinikum Lippe sind beteiligt:


  • Klinik für Pneumologie, Schlaf- und Beatmungsmedizin
  • Klinik für Gastroenterologie und Infektiologie
  • Klinik für Neurologie und Neurogeriatrie
  • Klinik für Kinder- und Jugendmedizin
  • MVZ cardiopraxis detmold

„Bereits nach der ersten Welle im Frühsommer 2020 haben wir mit der ambulanten Nachbetreuung von Patienten mit einer Long-COVID-Symptomatik begonnen“, berichtet PD Dr. Johannes Tebbe, Chefarzt für Gastroenterologie und Infektiologie am Klinikum Lippe. Das bestätigt auch Dr. Maik Brandes, Chefarzt der Klinik für Pneumologie, Schlaf- und Beatmungsmedizin am Standort Lemgo, dem niedergelassene Hausärztinnen und Hausärzte Patienten mit Atembeschwerden nach überstandener Infektion zuweisen. Beide wissen von vielfach sich überlagernden und teilweise auch unspezifischen Symptomen der Patientinnen und Patienten.

Für das Klinikum Lippe ergab sich hier die Notwendigkeit, Diagnostik und Therapie von Beginn an als ganzheitlichen Ansatz unter Einbeziehung vieler Fachrichtungen – auch der Psychosomatik – zu konzipieren. Das Ergebnis ist die Long-COVID-Ambulanz, denn Long-COVID wird das Gesundheitssystem noch lange beschäftigen und Lösungsstrategien im Sinne der betroffenen Patienten lassen sich nur durch eine enge Zusammenarbeit verschiedener medizinischer Fachrichtungen erzielen.

Diagnose: Long-COVID

Die psychosomatische Versorgung der Betroffenen, die in vielen Fällen eine wesentliche Rolle spielt, wird durch Kooperationen mit niedergelassenen Psychotherapeuten abgedeckt. Zu der Frage, welche Patienten sich angesprochen fühlen sollen, sagt Prof. Dr. Christoph Redecker, Chefarzt der Klinik für Neurologie und Neurogeriatrie: „Selbstverständlich ist der Haus- oder Facharzt der primäre Ansprechpartner für alle ambulanten Patienten. Unsere niedergelassenen Kollegen können uns aber jederzeit hinzuziehen. Die Long- COVID-Ambulanz des Klinikum Lippe soll allen Patienten zur Verfügung stehen, bei denen unklar ist, ob sich ernsthafte Folgeschäden entwickeln.“