Interview mit PD Dr. Jan Groetzner, neuer Chefarzt der Klinik für Thoraxchirurgie
Seit 1. Januar 2022 leitet PD Dr. Jan Groetzner die Klink für Thoraxchirurgie des Klinikum Lippe am Standort Lemgo. Er löst damit Dr. Friedrich Schumm ab, der im Dezember 2021 auf eigenen Wunsch in den wohlverdienten Ruhestand ging. Mit PD Dr. Groetzner gewinnt die Region einen ausgewiesenen Thorax-Experten. Der Facharzt für Herzchirurgie und für Thoraxchirurgie war seit 2015 Leiter des Lungenkrebszentrums Münster sowie des Onkologischen Zentrums der „Münsteraner Allianz gegen Krebs“. Im Interview verrät der 52-Jährige mehr über seine Interview mit PD Dr. Jan Groetzner, neuer Chefarzt der Klinik für Thoraxchirurgie Unsere Stärke sind die Menschen, die hier arbeiten Pläne für die Klinik für Thoraxchirurgie und das Lungenzentrum Lippe.
Warum sind Sie Thoraxchirurg geworden?
PD Dr. Jan Groetzner: Ich habe lange in der Herzchirurgie gearbeitet und dort zahlreiche Herz- und Lungentransplantationen miterlebt. Ohne Frage ist das Herz ein faszinierendes Organ und die Herzchirurgie eine spannende Fachrichtung. Allerdings habe ich mich dann mehr und mehr für die Lungenchirurgie interessiert. Die Erforschung des Lungenkrebses und die chirurgischen Möglichkeiten der Therapie waren damals noch nicht so weit fortgeschritten. Die Thoraxchirurgie hat sich ja erst in den letzten 15 Jahren zu einem eigenständigen Fachgebiet entwickelt. Diese Weiterentwicklung und die Etablierung der Lungenchirurgie in Versorgungskrankenhäusern fand ich sehr reizvoll. Ausschlaggebend war aber sicher auch, dass mein damaliger Arbeitgeber, das Clemenshospital in Münster, eine der ersten eigenständigen thoraxchirurgischen Fachabteilungen gegründet hatte. Dort konnte ich ganz vorn mit dabei sein.
Wie ist Ihr erster Eindruck vom Klinikum Lippe, von ihrem Team und von unserer Region?
Groetzner: Ehrlich gesagt, habe ich noch nicht so viel von der Region gesehen, weiß aber natürlich, dass Ostwestfalen-Lippe landschaftlich sehr viel zu bieten hat. Aktuell komme ich im Dunkeln zur Arbeit und gehe auch im Dunkeln wieder nach Hause. Das liegt nicht nur an der Jahreszeit, sondern schlicht daran, dass meine Arbeitstage sehr lang und prall gefüllt sind mit Terminen, Patientengesprächen, Operationen und organisatorischen Aufgaben.
Ich habe den großen Vorteil, dass ich meinen Fokus in meiner Zeit hier in Lemgo voll und ganz auf die Klinik setzen kann. Denn neben der beruflichen Herausforderung und den Chancen, die ich in dieser Region für die Thoraxchirurgie und die Lungenmedizin sehe, war die Entscheidung auch von 11 familiären Umständen begünstigt. Ich habe drei Söhne, die alle in einem Alter sind, in dem sie ihre eigenen Interessen haben und mich nicht mehr täglich vor Ort brauchen. Unser Ältester hat gerade sein Abitur gemacht und die beiden Jüngeren gehen noch zur Schule. Deshalb bleibt meine Familie vorerst in Münster und ich wohne innerhalb der Arbeitswoche hier in Lemgo. Meine ganze Energie fließt dann also in meine hier anstehenden Aufgaben.
Den Lipper oder die Lipperin habe ich bisher ausschließlich im Krankenhaus kennen gelernt. Meine Kolleginnen und Kollegen sowie unsere Patientinnen und Patienten begegnen mir sehr freundlich, interessiert und offen. Das gesamte Team vermittelt mir das Gefühl, etwas bewegen zu wollen. Und genau da sehe ich auch das große Potential dieses Krankenhauses. Unsere Stärke sind die Menschen, die hier arbeiten und etwas bewegen wollen.
Welche Ziele haben Sie für die Klinik für Thoraxchirurgie?
Groetzner: Ich sehe für die Klinik für Thoraxchirurgie einen großen Versorgungsauftrag mit guten qualitätsgestützten Strukturen und klinischer Forschung.
Konkret heißt das im ersten Schritt: Wir werden zertifiziertes Lungenkrebszentrum. Dafür müssen wir die Lungenkrebsmedizin weiter ausbauen und vor allem Netzwerkarbeit betreiben. Ich sehe hier erhebliches Entwicklungspotential, wenn wir weiter auf dem aufbauen, was in der Region bereits vorgehalten wird. Es wird aber nicht ausreichen, wenn wir nur Patienten für ein Lungenkrebszentrum aus dem Kreis Lippe behandeln. Selbst dann nicht, wenn alle im Kreis Lippe von Lungenkrebs betroffenen Patienten sich am Klinikum Lippe operieren lassen würden. Wir müssen also qualitativ so gut sein, dass wir überregional bekannt werden, insbesondere bei den Hausärzten und Praxen.
Wenn wir zertifiziert sind, kommen mittelfristig auch mehr Patienten zu uns. Höhere Patientenzahlen wirken sich wiederum positiv auf die Kompetenz aus und locken auch interessierte Fachleute in die Region. Der Fachkräftemangel in Pflege und Ärzteschaft ist bereits Realität und nur wenn wir heute hohe Ansprüche an unsere Arbeit haben, können wir künftig bei potenziellen Bewerberinnen und Bewerbern punkten.
Ich sehe es auch als unsere Aufgabe an, dass wir uns bereits jetzt auf eine Zunahme älterer Patienten einstellen. Wenn man sich die demografische Entwicklung und die Zunahme der Krebserkrankungen anschaut, wissen wir doch heute schon, was in den nächsten Jahren auf uns Chirurgen zukommt. Immer wichtiger werden deshalb auch die sogenannten minimal invasiven Eingriffe. Schonende Operationstechniken erlauben es, auch hoch betagte Patienten mit Lungentumoren erfolgreich zu operieren. Immerhin werden ungefähr 70 Prozent der Lungenresektionen (Entfernung von Lungengewebe) mittlerweile minimal invasiv durchgeführt und auch Operationsroboter werden mittelfristig einen höheren Stellenwert in der Thoraxchirurgie erhalten.
Ein zertifiziertes Lungenkrebszentrum wird uns schlussendlich auch dabei helfen, klinische Forschungsaktivitäten im Bereich der Lungenmedizin am Klinikum Lippe zu etablieren. Mit dem Campus Klinikum Lippe des Universitätsklinikum OWL haben wir diesbezüglich ja auch einen Auftrag und eine Verantwortung. Unsere Patientinnen und Patienten erhalten außerdem durch die Teilnahme an klinischen Studien die Chance von neuen Therapieformen direkt als Erste zu profitieren.
Was macht ein Lungenzentrum aus?
Groetzner: Zu einem guten Lungenzentrum gehört für mich, dass wir alle Belange der Patienten abdecken. Medizinisch, ganzheitlich und psychosozial. Bei einer Lungenkrebsdiagnose endet die Therapie ja nicht nachdem ich das Skalpell abgesetzt habe. Unsere Patientinnen und Patienten brauchen psychosoziale Beratung und Angebote zur Steigerung der Lebensqualität. Am Standort Lemgo haben wir die Klinik für Onkologie, die Strahlentherapie, die Nuklearmedizin mit einem PET-CT (März 2022), die vorzüglich aufgestellte Klinik für Pneumologie, das Weaning-Zentrum und andere Organkrebszentren sowohl in Lemgo als auch in Detmold. Das ist eine gute Basis.
Ein Lungenzentrum ist aber für mich kein fester Ort, sondern vielmehr ein Netzwerk. Dieses Netz beginnt mit der Lungenkrebsdiagnose beim niedergelassenen Arzt, umfasst die an der Diagnostik und Therapie beteiligten Klinikbereiche und reicht mit Psychoonkologie, Selbsthilfegruppen und Nachsorge bis weit in die Zeit nach der hoffentlich erfolgreichen Tumorbehandlung. Es ist also sozusagen ein Netz, welches die oder den Betroffenen und sein Umfeld auffängt und stützt in einer Zeit, in der viele Patientinnen und Patienten ohnehin in ein tiefes Loch fallen. So eine ganzheitliche Patientenversorgung auf einem hohen qualitativen Niveau kann man am besten über Strukturen steuern. Das hat mich meine bisherige klinische Erfahrung beim Aufbau des Lungenkrebszentrums in Münster gelehrt. Ich bin seit 14 Jahren Thoraxchirurg und fand es immer hilfreich, in einem strukturierten, zertifizierten Zentrum zu arbeiten.
Es ist gut für jedes System und eben auch für jedes medizinische Zentrum, regelmäßig und unabhängig – also im Idealfall von externen Fachleuten – geprüft zu werden. Die Impulse, die unabhängige Dritte, uns für unseren Arbeitsalltag in der Klinik geben können, sind unbezahlbar. Dabei kenne ich beide Seiten. Am Clemenshospital in Münster war ich von Anfang an bei den Zertifizierungen dabei. Dort wurde 2009 das Lungenkrebszentrum und 2012 das Onkologische Zentrum zertifiziert. Beide Zentren habe ich ab 2015 geleitet und so musste ich den Auditoren (externe Gutachter) oft genug Rede und Antwort stehen. Weil mich das System der qualitätsgesicherten Medizin aber so überzeugt, bin ich seit 2012 auch selbst Fachgutachter der Deutschen Krebsgesellschaft für Lungenkrebszentren.
Zertifizierungen sind mit hohem Ressourcenaufwand verbunden. Bringt eine erfolgreiche Zertifizierung denn auch mehr Patienten?
Groetzner: Aus meiner Zeit in Münster kann ich sagen: Ja! Dort hatten wir ungefähr 25 bis 35 Prozent mehr Patienten seitdem und ggf. weil wir als Lungenkrebszentrum und Onkologisches Zentrum zertifiziert waren. Die Zuweiser – also die niedergelassenen Mediziner – spielen hier eine wesentliche Rolle. Die Ärztinnen und Ärzte aus den Praxen haben den berechtigten Anspruch, die bestmögliche weiterführende Diagnostik und anschließende Therapie für ihre Patientin oder ihren Patienten zu empfehlen. Gerade Patienten mit einer Krebserkrankung sind ja oft aufgrund der vielen Arzttermine viel stärker mit ihrem Haus- oder Facharzt verbunden als Jemand, der einmal im Jahr eine Krankschreibung wegen einer Erkältung benötigt. Es ist also wichtig, dass wir den Zuweisern in der Region und darüber hinaus zeigen, dass ihre Patienten bei uns bestmöglich und nach den modernsten Standards versorgt werden. Das erreichen wir über Transparenz, Kommunikation und eben auch durch Zertifizierungen von Fachgesellschaften.
Also kurz gesagt gilt: Gute Qualität = Viele Patienten?
Groetzner: Vereinfacht ja, aber die Gleichung gilt in beide Richtungen. Nur wenn wir gute Qualität liefern, haben wir auch entsprechende Patientenzahlen. Diese wiederum benötigen wir, um uns zertifizieren zu lassen, denn die Fachgesellschaften gehen davon aus, dass eine gewisse Erfahrung oder Routine notwendig ist, um gute chirurgische Ergebnisse zu erzielen.
Außerdem werden in drei bis vier Jahren die sogenannten Mindestmengen auch für Lungenkrebsoperationen – also den größten Teil der Thoraxchirurgie – gelten. Die Krankenkassen werden dann Operationen von Patienten mit Lungentumoren nur noch übernehmen, wenn diese in zertifizierten Zentren durchgeführt werden. Das ist ein ganz normaler Ablauf, der für andere Organzentren seit Jahren gängige Praxis ist.
Das alles bedeutet für das Klinikum Lippe: Wir müssen auf die Tube drücken, wenn wir für die Region ein Kompetenzzentrum Lungenmedizin etablieren wollen. Die Voraussetzungen dafür sind hier medizinisch und strukturell gesehen hervorragend. Wir haben eine etablierte Klinik für Pneumologie und mit ihrem Chefarzt Dr. Maik Brandes und seinem engagierten Team eine leistungsfähige Mannschaft, die bereits mit dem Ausbau der Pneumologie und dem Aufbau des Weaning-Zentrums bewiesen hat, was Lippe so alles schaffen kann. Wir haben die notwendige Fachexpertise mit der Klinik für Onkologie unter der Leitung von Prof. Dr. Hartmann und die Strahlentherapie unter der Leitung von Prof. Dr. Schäfer um nur einige Fachdisziplinen zu nennen. Nun müssen wir gemeinsam die nächsten Schritte wagen.
Welche Auswirkungen hat die Covid- Pandemie auf die Thoraxchirurgie?
Groetzner: In der Regel ist nach einer Covid-Erkrankung keine Behandlung durch einen Thoraxchirurgen erforderlich. Dennoch habe ich bereits Anfang April 2020 schon Patienten mit Covid operiert. Grund dafür waren aber die Komplikationen, die durch das Coronavirus hervorgerufen wurden. Vielen Medizinern bereitet eher Sorgen, dass die Anzahl der Patienten mit Krebserkrankungen in Krankenhäusern seit der Pandemie tendenziell rückläufig ist. Da wir nicht davon ausgehen können, dass die Zahl der Krebsneuerkrankungen sinkt, gibt es dafür eine andere mögliche Erklärung. Die Patienten gehen schlichtweg in der Pandemie weniger zum Arzt. Deshalb ist es ganz wichtig, zu betonen, dass das Klinikum Lippe für die Behandlung von Patienten – und speziell die Klinik für Thoraxchirurgie für die Behandlung von Tumorpatienten – immer offen ist. Eine fundierte Diagnostik und bestmögliche, individuelle Therapie darf hinter Corona nicht zurückstehen. Wir haben gute Hygienekonzepte, die es uns ermöglichen, auch in der Pandemie unsere Patientinnen und Patienten zu versorgen. Wenn Sie also Symptome bemerken, die auf eine Krebserkrankung hindeuten könnten, gehen Sie bitte zu Ihrem Hausarzt und warten Sie nicht auf das Ende der Pandemie. Eine frühe Diagnose verbessert die Heilungschancen für viele Krebserkrankungen um ein Vielfaches.