Interview mit Prof. Dr. Wolfgang Hiller
Nach Schätzungen des Robert- Koch-Instituts erhalten fast 60.000 Menschen in Deutschland jährlich die Diagnose Darmkrebs. Er ist damit eine der drei häufigsten Krebsarten bei Männern und Frauen. Die Darmchirurgie ist einer der Schwerpunkte der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie. Wir haben mit Chefarzt Prof. Dr. Wolfgang Hiller über Darmkrebs, Darmkrebsvorsorge und die modernen Möglichkeiten der Chirurgie gesprochen.
Herr Prof. Dr. Hiller, welche Symptome können auf eine Darmkrebserkrankung hinweisen?
Das wichtigste Symptom des Darmkrebses ist Blut im Stuhl oder auch eine auffallend dunkle oder schwarze Färbung des Stuhls. Änderungen der Stuhlgewohnheiten, wie Durchfall, Verstopfung oder häufiger Stuhlgang sowie Schmerzen beim Stuhlgang können auf einen Darmtumor hinweisen. Viele Patienten bemerken auch den sogenannten Bleistiftstuhl. Dieser fast bandförmige Stuhl ist – wie der Name vermuten lässt – so dünn wie ein Bleistift und tritt auf, wenn ein Bereich des Enddarms zum Beispiel durch einen Tumor verengt ist. Es gibt aber auch eher unspezifische Symptome, wie Abgeschlagenheit, ungewollten Gewichtsverlust oder eine plötzlich auftretende Abneigung gegen bestimmte Speisen können auf das Vorliegen von Darmkrebs hinweisen.
Welche Chancen bietet die moderne Darmtumorchirurgie?
Die Darmchirurgie stellt einen wesentlichen Schwerpunkt unserer täglichen Arbeit dar und ist insbesondere in der Behandlung von Darmkrebs ein Präzisionsinstrument. Die meisten Operationen werden heutzutage in der sogenannten Schlüsselloch-Chirurgie, minimalinvasiv durchgeführt. In unserer Klinik setzen wir hier auch auf die Unterstützung durch die Technik und arbeiten beispielsweise gerade in der Darmchirurgie viel mit dem DaVinci-Operationssystem. Hier wird 3D-Video-Optik kombiniert mit optischer Vergrößerung und Präzisionsinstrumenten. Diese ermöglichen uns als Chirurgen ein sehr schonendes Präparieren. Es ist wichtig, dass wir sehr präzise arbeiten, um umliegende Nerven zu schonen und damit die Kontinenz oder Sexualfunktionen nicht zu beeinträchtigen. DaVinci ermöglicht uns aber auch ein radikales Operieren im Hinblick auf die Entfernung von möglichen Absiedlungen in der Umgebung des Tumors.
Durch die moderne Chirurgie sind also nicht nur die Überlebensquoten gestiegen. Auch die funktionellen Ergebnisse konnten verbessert werden. Das bedeutet für einen Patienten, dass eine tumorbedingte Darmoperation heute mit deutlich weniger Einschränkungen verbunden sind als in der Vergangenheit. Dies hat natürlich Auswirkungen auf die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten, die durch die heutigen chirurgischen Möglichkeiten deutlich gestiegen ist.
Sie sprachen den DaVinci an: Ersetzen die Computer einen guten Chirurgen?
Nein, die sogenannten Robotiksysteme im OP sind lediglich ein Werkzeug und nur dann von besonderem Nutzen für den Patienten, wenn die Anwender – also wir Chirurgen – entsprechend geschult sind. Mein Oberarzt Dr. Michael Leitz und ich, wir haben beide das EARCS-Zertifikat und können computergestützte Operationsverfahren in der komplexen Chirurgie des Enddarmkrebses sicher anwenden. Wir erreichen durch die technische Unterstützung eine völlig neue Dimension der Präzision. Tumore im Enddarmbereich können wie schon gesagt radikaler und nervenschonender operiert werden. Das hat wesentliche Auswirkungen auf den weiteren Therapieverlauf der Krebserkrankung sowie die Erhaltung der Kontinenz und Lebensqualität des Patienten. Wir haben aber als Chirurgen nicht nur die Operation als solche im Blick. Wir begleiten unsere Patienten vom Zeitpunkt des ersten Gespräches in der prästationären Sprechstunde bis hin zur Organisation der Zeit nach dem stationären Aufenthalt. Wir sind ein hochmotiviertes Team, bestehend aus Ärzten, Pflegepersonal, Stomatherapeuten, Ernährungsberatern, Physiotherapeuten und Sozialarbeitern, um unseren Patienten zur Bewältigung ihrer Erkrankung zur Seite zu stehen.
Welche Rolle spielt das Viszeralonkologische Zentrum für die Versorgung von Tumorpatienten in OWL?
Generell haben die zertifizierten Krebszentren eine enorme Bedeutung für die qualitätsorientierte Medizin. Die Patienten können sicher sein, dass sie in einem Zentrum leitliniengerecht und nach hohen Standards durch den gesamten Krankheitsverlauf – von der Diagnose bis zur Nachbehandlung – begleitet werden. Das Viszeralonkolgische Zentrum Lippe ist ein Zusammenschluss unterschiedlicher Fachabteilungen des Klinikums, niedergelassener Ärzte und weiterer Kooperationspartner zur Behandlung von bösartigen Tumoren des Bauchraums. Als eines von wenigen derartigen Zentren in der Bundesrepublik sind wir von der Deutschen Krebsgesellschaft für Behandlungen von Tumorerkrankungen des Darms, des Magens und der Bauchspeicheldrüse zertifiziert.
Aufgrund der Komplexität einer Darmkrebserkrankung ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Spezialisten aus anderen Abteilungen der Schlüssel für eine erfolgreiche Therapie und findet in unserer Klinik tagtäglich statt. Das sichern neben dem sowieso engen und kollegialen Austausch eben auch die Zentrumsstrukturen.
Warum muss man aus Ihrer Sicht keine Angst vor der Darmkrebsvorsorge haben?
Angst ist ein schlechter Berater, sagt ein brasilianisches Sprichwort. Ich denke, Angst haben muss man lediglich davor, an Krebs zu erkranken und auf keinen Fall vor der Vorsorge. Das ist ähnlich wie mit den Impfungen zum Schutz vor einer Covid-Erkrankung mit dem Unterschied, dass Darmkrebs unbehandelt oder zu spät behandelt immer tödlich verläuft. Ich gehe auch zur Darmkrebsvorsorge und kann sagen, dass meine Angst vor dem Zahnarzt größer ist. Die Untersuchung selbst ist wenig belastend und kann, wenn man es denn möchte, auch mit einer Betäubung stattfinden.
Ich persönlich könnte nur schwer damit umgehen, wenn ich eines Tages feststellen müsste, dass ich selbst Schuld bin an meinem nahenden Tod, weil ich es versäumt habe, durch anerkannt wirksame Maßnahmen den Darmkrebs im Vorfeld zu verhindern. Insofern kann ich nur an alle appellieren: Machen Sie uns Chirurgen arbeitslos, indem Sie eine Operation durch die Darmkrebsvorsorge überflüssig machen.
Der DaVinci-Operationsroboter wird für die nächste OP vorbereitet.