Von Einem, der dahin ging, „wo alle gerade weglaufen“
Die vergangenen Jahre haben in den Köpfen der Menschen einiges verändert. Manche waren gezwungen, sich beruflich zu verändern, andere spürten, dass sie ihren Kompass neu ausrichten mussten. So auch Thomas, Auszubildender im Bereich der Pflege im Klinikum Lippe.
Zu Beginn der Pandemie 2020 studiert der 25-Jährige noch im 8. Semester Maschinenbau an der Uni Paderborn. Er büffelt von zu Hause aus, am Rechner für die Prüfungen und stellt irgendwann die Sinnhaftigkeit seines Studiums und seiner beruflichen Zukunft in Frage. Der angehende Ingenieur bricht schließlich sein Studium ab und beginnt im Oktober 2021 eine Ausbildung zum Pflegefachmann am Klinikum Lippe. Wir haben uns mit Thomas getroffen, um herauszufinden, was die Beweggründe für seine Entscheidung waren.
Warum hast du entschieden, dich während deines Maschinenbaustudiums beruflich umzuorientieren?
Thomas Frese: Während des Studiums fehlte mir der Praxisbezug und die Nähe zum Arbeitgeber. Man lernt so vor sich hin und hat noch gar keine Vorstellung, wo es nach dem Studium hingehen könnte. Als im März 2020 der erste Lockdown kam und wir alle von zu Hause aus studieren mussten, saß ich während dieser Zeit eigentlich jeden Tag nur vor dem Computer. Ich habe mir die Online-Vorlesungen angesehen und für Prüfungen gelernt, während gleichzeitig ein Virus unser Gesellschaftssystem an seine Kapazitäten gebracht hat.
Irgendwann habe ich meine damalige Situation und meine beruflichen Perspektiven hinterfragt. Zum einen im Hinblick auf Zukunftssicherheit, zum anderen auf Sinnhaftigkeit. Wenn man überlegt, wie viele Selbständige während der Pandemie in existenzielle Nöte geraten sind, ist der Gedanke in einer Branche zu arbeiten, bei der man als Arbeitnehmer sicher sein kann, dass dort immer Bedarf an Mitarbeitern sein wird, in meinen Augen sehr beruhigend. Zum anderen war für mich der Gedanke reizvoll, eine bedeutungsvolle Aufgabe an Menschen zu verrichten, die einem Tag für Tag direktes Feedback und Dankbarkeit zurückgeben und ich mich gleichzeitig, sinnvoll in die Gesellschaft einbringen kann.
Ich muss in meiner Arbeit einen Sinn sehen. Als Ingenieur kann man sicherlich auch viel Gutes und Sinnvolles tun, aber irgendwie erschien mir diese Perspektive in meiner damaligen Situation nicht greifbar. Durch die zu dieser Zeit sehr angespannte Situation im Gesundheitssystem gingen die Nachrichten zum Pflegenotstand auch an mir nicht vorbei. Trotzdem, oder vielleicht genau deswegen, erwuchs nach und nach die Idee in mir, dass Pflege ein Berufszweig für mich sein könnte, in dem ich mich langfristig wohlfühlen kann.
Denkst du, es war ein Fehler, das Maschinenbaustudium überhaupt begonnen zu haben?
Frese: Nein, auf keinen Fall. Ich habe zwar nichts vom Studium in der Tasche, also keinen offiziellen Abschluss, aber ich habe eine Menge gelernt. Vor allem das selbständige Leben und Arbeiten während dieser Zeit. Ich bin für das Studium von zu Hause ausgezogen und man musste sich natürlich immer wieder motivieren, um für die Prüfungen gut vorbereitet zu sein.
Welche Erfahrungen aus deinem Ingenieurstudium lassen sich in deinen jetzigen Ausbildungsalltag in der Pflege einbringen?
Frese: In erster Linie Ingenieursgeist, natürlich… die Eigenschaften von Kohlenstoff kann ich so konkret natürlich nicht anwenden, [lacht…] aber inhaltlich helfen mir in Bezug auf die jetzige Ausbildung sicherlich Themen wie Chemie und Physik, um besser verstehen zu können, wie Medikamente wirken, der Körper funktioniert und verschiedene Prozesse im Menschen ablaufen. Während des Studiums habe ich auch gelernt, mich wissenschaftlich mit Themen auseinanderzusetzen, Meinungen und Sichtweisen zu vertreten und zu belegen. In hektischen Situationen in der Klinik versuche ich immer alles aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten, eine sinnvolle Lösung zu finden und diese dann sequenziell abzuarbeiten.
Wie haben deine Freunde und Familie auf deine berufliche Veränderung reagiert?
Frese: Alle haben eigentlich unterstützend reagiert und waren der Meinung, dass das Berufsbild ganz gut zu mir passt. Manche haben Zweifel geäußert, ob der Beruf nicht zu anstrengend sei und dass die Arbeitsbedingungen schlecht seien. Nach dem Motto: „Du gehst dahin, wo alle gerade weglaufen.“ Aber das hat mich nicht abgeschreckt, sondern eher motiviert.
Es gibt im Praxisalltag als Auszubildender Zeiten mit sehr hoher Belastung, aber das macht mir nicht so viel aus, ich kann mich trotzdem wohlfühlen. Der Wechsel zwischen hoher Belastung und Ruhephasen, die auch wirklich welche sind, da man nicht so viel Arbeit mit nach Hause nimmt, tut mir ganz gut.
Hast du dich mit der Frage des Berufsstatus an irgendeinem Punkt beschäftigt? Also das Ansehen eines Ingenieurs verglichen mit dem eines Pflegers?
Frese: Nein, das hat für mich überhaupt keine Rolle gespielt. Ich bin lieber ein Pfleger mit Leidenschaft, als ein halbherziger Ingenieur. Nach dem Abitur bin ich irgendwie in dieses Studium gerutscht. Ich war gut in naturwissenschaftlichen Fächern und ohne lang darüber nachzudenken, was ich eigentlich will, habe ich das Maschinenbaustudium begonnen. Nach einiger Zeit musste ich feststellen, dass mich diese Arbeit langfristig nicht ausfüllen wird. Warum sollte ich einen Beruf ausüben, bei dem ich das Gefühl habe, er füllt mich nicht aus? Da fühle ich mich im Bereich der Pflege besser aufgehoben. Die Arbeit direkt am Menschen stärkt mein Selbstbewusstsein und ich kann jeden Tag am Patienten sehen, wie sich meine Arbeit auswirkt und kann diese Erfahrungen nutzen, um mich stetig zu verbessern.
Wie waren deine ersten Erfahrungen bei deiner Ausbildung, sowohl in der Theorie als auch in der Praxis?
Frese: Ich gehe zum ersten Mal in meinem Leben gerne in die Schule, bin aktiv im Unterricht und habe das Gefühl, dass alle Inhalt, die wir in der Schule lernen, Sinn machen. Wir haben motivierte und kompetente Lehrerinnen und Lehrer, die mit ihrer Berufserfahrung wirklich auf spannende Art und Weise Inhalte vermitteln. Dadurch ist auch der theoretische Teil der Ausbildung sehr praxisnah. Besonders im Vergleich zum Studium. Es ist wirklich toll, dass man das Gelernte immer in den Praxisphasen anwenden kann und man direkt merkt, wie die Theorie und die Praxis miteinander verknüpft sind. Da sich die meisten Inhalte direkt mit dem Menschen beschäftigen, lernt man so viel über sich selbst und seinen Körper. Das macht die Ausbildung für mich so interessant.
Mein erster Praxiseinsatz war wunderschön. Ich durfte auf der Geburtsstation arbeiten. Ich musste Babys wickeln, mit den Eltern sprechen und konnte das Klinikum Lippe kennenlernen. Besonders interessant war für mich der Rollenwechsel – die Krankenhaus-Luft zu schnuppern, nicht nur als Patient oder Besucher. Dieser Praxisblock ging drei Wochen lang und die ersten Tage waren wirklich komplett außerhalb meiner Komfortzone. Als ich die Ausbildung begonnen habe, war ich, auch aufgrund der Pandemie, ein wenig sozial isoliert und plötzlich war ich mitten im Leben und hatte erstmal keine Ahnung was ich hier genau mache. Die “Re-Sozialisierungsphase” hat ein bisschen gedauert. Aber am Ende habe ich für meinen ersten Einsatz gutes Feedback bekommen. Das war wirklich toll. Mittlerweile fällt es mir zunehmend leichter, mich in die wechselnden Pflegesettings und Teams zu integrieren.
Ist das Lernpensum an der Pflegeschule mit dem Pensum im Studium zu vergleichen?
Frese: Es sind schon viele neue Dinge, die man lernen muss. Ich bin das Lernpensum aus dem Studium gewöhnt und empfinde es zurzeit noch nicht so belastend, was sich aber noch ändern kann. Durch den praktischen Bezug fällt es mir recht leicht, mir die Inhalte zu merken und zu verstehen – es geht ja an vielen Stellen auch über das Auswendiglernen hinaus. Große Themen der Ausbildung waren bisher auch Kommunikation unter Menschen und Perspektiven des Patienten, was auch spannende Themen sind. Thomas fährt in seiner Freizeit leidenschaftlich Motorrad: ”Es ist schon ein gewisses Gefühl von Freiheit, sich nach Feierabend die Zeit zu nehmen, ohne Ziel irgendwohin zu Fahren und die Aussicht zu genießen.” 14 Auszubildende der Pflegefachassistenz, absolvierten in diesem Jahr am Klinikum Lippe erfolgreich die Abschlussprüfung. Die 18 frisch examinierten Pflegefachkräfte feiern nach drei Jahren Ausbildung ihren Abschluss am Standort Lemgo im Beisein, der Kursleitungen, Geschäftsführung der Schulen für Pflegeberufe und Pflegedirektion des Klinikum Lippe. Das Klinikum Lippe und die Schulen für Pflegeberufe Herford-Lippe gratulieren ihren frisch examinierten Pflegefachkräften und den Absolventinnen der Pflegefachassistenz. Wir wünschen Euch alles Gute für die Zukunft. Man fragt sich auch nicht, wofür man das eigentlich alles lernt, da man alles in der Praxis direkt anwenden kann. Ich empfinde die Lernsituation deutlich entspannter als beim Studium, wegen des Praxisbezuges und der guten Strukturierung und Portionierung der Lehrinhalte.
Wie könnte deine berufliche Zukunft aussehen?
Frese: Ich würde gerne einige Jahre auf einer Kinder- und Jugendstation arbeiten. Ich sehe das zurzeit aber noch nicht als berufliches Endziel. Man hat ja mit der Pflegeausbildung ganz viele Möglichkeiten, sich noch weiterzubilden. Ich könnte mir zum Beispiel auch vorstellen, mein Wissen im psychologischen Bereich weiter zu vertiefen. Aber das ist so weit weg, da habe ich noch keinen festen Plan.
Thomas fährt in seiner Freizeit leidenschaftlich Motorrad: ”Es ist schon ein gewisses Gefühl von Freiheit, sich nach Feierabend die Zeit zu nehmen, ohne Ziel irgendwohin zu fahren und die Aussicht zu genießen.”